Sozialdumping: „Ich treffe den Kanzler heute um Sieben. Um Viertel nach Sieben ist das geregelt“.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am 4. Oktober 2018 bei einem Europadialog in Wien mit ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian diskutiert, sich den Fragen des Publikums gestellt und dabei die Bundesregierung bei sozialpolitischen Themen in die Pflicht genommen. Insbesondere pochte er auf den raschen Beschluss der geplanten EU-Arbeitsmarktbehörde.
Es sei ein „Skandal“, dass manche Länder Sozialdumping „praktisch als Staatsräson“ betrieben, sagte Juncker vor rund 500 geladenen Gästen im Veranstaltungszentrum am Standort der ÖGB-Zentrale. Er habe gehört, dass sich auch die österreichische Bundesregierung mit dem Thema „schwer“ tue. Aber: „Ich treffe den Kanzler heute um Sieben. Um Viertel nach Sieben ist das geregelt“, versuchte Juncker Optimismus zu verbreiten. Die Behörde, die eventuell in Wien angesiedelt werden könnte, soll kontrollieren, ob Mindestlöhne und Sozialstandards in den Mitgliedsländern eingehalten werden. Der Kommissionsvorschlag liegt schon länger am Tisch, der Ball liegt nun beim Rat. Österreich hat als Ratsvorsitz Einfluss auf die jeweiligen Tagesordnungspunkte.
Soziale Themen sind zu lange „unterbelichtet“ worden
Aufs Tempo drückte Juncker auch bei der von der Kommission im Vorjahr vorgelegten Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen. Diese solle im Rat im Dezember beschlossen werden. Juncker forderte den ÖGB auf, bei diesem Thema „Druck auf die Regierung auszuüben“. „Wir sind seit zwanzig Jahren dabei, die Arbeitsbedingungen zu präkarisieren.“ Die „Zerstückelung“ der Erwerbsbiografien vermindere auch die Lebensqualität und verschlechtere Perspektiven. Hätte sein Vater, der Stahlarbeiter war, keinen unbefristeten Arbeitsvertrag gehabt, hätte er, Juncker, „wohl nie eine Uni von innen gesehen“.
Soziale Themen seien zu lange „unterbelichtet“ worden. „Breite Teile der Arbeitnehmerschaft“ würden sich von Europa entfernen, das sei eine „gefährliche“ Entwicklung. „Wir brauchen auch im Sozialen ein Triple-A“, sagte Juncker und erntete damit Zustimmung vom ÖGB-Präsidenten.
„Es gibt nicht nur Listen, sondern auch Papierkörbe.“
Ganz ähnliche Ãœberzeugungen vertraten Juncker und Katzian auch beim Thema soziale Mindeststandards. Es sei den Mitgliedsländern unbenommen, „weiter zu gehen“, sagte Juncker. Katzian kritisierte in diesem Zusammenhang eine von der Wirtschaftskammer erstellte Liste, in denen Fälle von sozialem „Gold-Plating“ in Österreich angeführt sind, also Beispiele von Ãœbererfüllung sozialer Mindeststandards, wie etwa die fünfte Urlaubswoche. Juncker meinte dazu: „Es gibt nicht nur Listen, sondern auch Papierkörbe.“
Weiter auseinander lagen die Vorstellungen im Bereich Steuerpolitik. Zwar waren sich beide darüber einig, dass Internetkonzerne verstärkt zur Kasse gebeten werden sollten, beim Thema Steuerwettbewerb vertraten sie aber unterschiedliche Standpunkte. Während Katzian den „Steuerwettbewerb nach unten“ etwa im Bereich der Körperschaftssteuer anprangerte, plädierte Juncker für Steuerwettbewerb, „aber mit fairen Mitteln“.
Wie schon zuvor bei seiner Rede anlässlich der Landeshauptleutekonferenz machte Juncker auf die Gefahr des wachsenden Nationalismus aufmerksam. Das sei ein Thema, das ihm „unter die Haut“ gehe. „Ich habe heute Interviews mit dem Kurier, dem Standard, und dem Falter geführt. Warum mit denen? Ich besuche morgen die Jüdische Gemeinde in Wien und eine Synagoge. Warum die?“ Man müsse sich dem „bornierten Nationalismus (…) in den Weg stellen“.
In Gewerkschafts-Kreisen war die Annahme der ÖGB-Einladung durch Juncker als „sehr ungewöhnlich“ und „überraschend“ bezeichnet worden. Die GewerkschafterInnen vermuten, dass Juncker gegen Ende seiner Amtsperiode signalisieren habe wollen, dass Soziales in der EU stärker in den Mittelpunkt gerückt werden müsse. Indirekt habe er mit dem Auftritt vor den Gewerkschaftern auch eine Botschaft an die Adresse der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung gesendet, die das Thema aus Gewerkschaftssicht vernachlässigt.
Quelle: Austria Presse Agentur (APA)
Reaktion von SPÖ-EU-Abgeordneter Evelyn Regner
„EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weiß, wie wichtig Gewerkschaften für die soziale Seite in Europa sind. Und er weiß auch, dass letztes Jahr beim Gipfel in Göteborg ein großes Bekenntnis zur Sozialen Säule Europas abgegeben worden ist. Leider bleibt es hier viel zu oft bei den schönen Überschriften. Europa wird sozial sein oder es wird nicht sein“, sagte Evelyn Regner, Delegationsleiterin der SPÖ-EU-Abgeordneten, in einer ersten Reaktion auf den ÖGB-Europadialog.
Regner fordert vollen Einsatz für die verbleibenden Monate im Kampf gegen Sozialdumping. Allen voran bei der Umsetzung der EU-Arbeitsbehörde: „Von einem Europa, das sozial schützt, sind wir weit entfernt. Auch Juncker hat bemerkt, dass die österreichische Regierung bei der so wichtigen EU-Arbeitsbehörde bremst. Lohn- und Sozialdumping stehen in Europa immer noch an der Tagesordnung. Während es bei der Reform der Entsenderichtlinie erste Etappensiege gibt, müssen wir auch an den nächsten Schritt denken. Denn das Prinzip ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort‘ kann nur Realität werden, wenn es auch entsprechend kontrolliert wird. Ich erwarte mir, dass das der österreichische Ratsvorsitz endlich vorantreibt. Die Regierung muss sich dafür einsetzen, dass die Behörde nach Österreich kommt. Wir sind nämlich nicht nur im Herzen Europas, sondern auch im Herzen des Lohnbetrugs. Das zu ändern, das erwarten sich die ArbeitnehmerInnen von uns“, betonte Regner.
>> Reaktion von SPÖ-EU-Abgeordneter Evelyn Regner (Video, Link zu Facebook)